Monatsarchiv: Juli 2010

„Das Leben geht weiter!“ – Abschließende Gedanken zur Loveparade 2010

Ich habe das Bedürfnis nochmal ein paar Zeilen zu schreiben.
Aber was soll und will ich überhaupt sagen? Ich weiß es nicht…

Also einfach mal drauf los geschrieben:

Eine Woche ist es jetzt her… Ich bin dem verhängnisvollen Hexenkessel nur knapp entronnen, während gerade mal einige Meter von mir entfernt, andere Menschen erdrückt wurden oder schwere körperliche Verletzungen davon getragen haben.

Doch psychische Verletzungen hat wohl nun jeder, der ein wenig Mitgefühl hat. Erst Recht wer die Loveparade besucht hat, sie besuchen wollte oder Freunde hatte, die dort waren und besonders diejenigen, die sogar hautnah dabei waren als die tragischen Szenen sich ereigneten und dann auch noch mit ansehen mussten, wie Menschen um ihr Leben rangen und es dann doch verloren.

Ich hatte Glück… Wirklich freuen kann ich mich aber nicht. Ich musste nicht erleben, wie jemand neben mir erstickt ist, war zufälligerweise zur richtigen Zeit am falschen Ort, wählte glücklicherweise den richtigen Fluchtweg, kam zwar arg ins Schwitzen und hatte Angst, wurde aber nicht panisch. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wie gefährlich die ganze Situation war und wie knapp ich dem Tod entronnen bin. Ohne es jetzt überdramatisieren zu wollen – Wäre ich ein paar Minuten früher dort gewesen und hätte ich den Weg über die Treppe genommen… Möglicherweise wäre ich jetzt auch tot oder extrem traumatisiert, wenn ich es überlebt hätte. Achja… „Hätte, hätte, Fahrradkette“.

Aber was rede ich nur von mir? Es gilt den Opfern zu gedenken und mit den Angehörigen zu trauern. Es soll sich jetzt nicht allzu hart und gefühlskalt anhören; aber das habe ich jetzt ausreichend getan, finde ich… Auch wenn ich sonst kein besonderer Freund von Egoismus und alles andere als gefühlskalt bin: Man muss jetzt auch mal wieder an sich denken.

Das Leben wird weitergehen und ich will, dass es weitergeht. Immer wieder habe ich mir im Laufe der Woche die Frage gestellt, ob ich jetzt noch so fröhlich sein kann, wie ich vorher war und ob ich es überhaupt sein darf. Das hat mich alles schon sehr deprimiert und ich hielt es für unangemessen einfach so weiter zu machen, wie vorher…

Schwarze Tage waren das.

Doch so Leid es mir tut, für alle die nicht soviel Glück hatten:
Ich möchte glücklich sein und nicht in Depressionen verfallen.

Trauer & Mitgefühl sind gut und wichtig, aber man muss rechtzeitig wieder den Absprung schaffen – hinein ins Leben. Natürlich gehört zum Verarbeitungsprozess, dass man sich mit dem Geschehenen auseinandersetzt, statt es einfach zu verdrängen und sofort wieder zum Alltag zurück zu kehren.

Andererseits sollte man es damit aber auch nicht übertrieben und es muss irgendwann mal wieder gut sein. Damit meine ich jetzt nicht, das Thema komplett auszublenden – dann wären wir wieder beim Verdrängen – sondern eine maßvolle Beschäftigung damit, ohne sich zu überlasten.

Klar könnte man sich 24/7 mit der Loveparade beschäftigen (diese Phase habe ich inzwischen hinter mir, denke ich…), unzählige Artikel dazu lesen, Fotos & Videos ansehen, eigene Texte verfassen, sich an den Schuldzuweisungen beteiligen und versuchen die Geschehnisse zu rekonstruieren, um das ganze zu begreifen oder sogar zu verstehen…

Auch ich möchte eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle, sowie eine angemessene Bestrafung der Verantwortlichen und nicht, dass das Ganze jetzt unter den Teppich gekehrt wird.

Aber bei andauernder Auseinandersetzung damit, dreht man sich irgendwann im Kreis. Im schlechtesten Fall merkt man es nicht einmal, weil man sich schon viel zu sehr in die ganze Thematik hinein gesteigert hat.

Mein Wille, meine meist lebensfrohe Persönlichkeit und nicht zuletzt mein Umfeld hat mich jedoch davor bewahrt in ein allzu tiefes Loch zu fallen. Ich kann gar nicht mehr sagen, mit wie vielen Leuten ich inzwischen gute Gespräche über die Loveparade, mein Glück und die Hintergründe der Tragödie hatte – aber ich weiß, dass jedes Einzelne mir geholfen hat, besser damit klar zu kommen.

Anfangs war es mir zwar oft zu viel, ich war total erschlagen von der mir plötzlich zuteil gewordenen Aufmerksamkeit, genervt von immer den gleichen Fragen und den teilweise sehr ähnlich verlaufenden Konversationen, doch immer wieder wurden mir dadurch neue Dinge bewusst, an die ich vorher so noch nicht gedacht hatte. Es tut einfach gut wenn man merkt, dass man seinem Umfeld etwas bedeutet – alleine das hilft schon enorm.

Den Kopf in den Sand stecken und sich tot stellen, so wie ich es in den ersten Tagen danach am liebsten gemacht hätte, bringt einen nicht weiter. Man muss raus: Raus mit der Sprache, raus an die frische Luft und vor allem unter Leute kommen!

Auch wenn es anstrengend ist: Reden ist die beste Medizin. Nicht umsonst gibt es professionelle „Rede-Mediziner“ und man sollte ihre Hilfe in Anspruch nehmen! Schaden kann es jedenfalls nicht… Diese Menschen wissen genau was sie machen und wie sie einem helfen können, während Freunde dies meist nur intuitiv tun können.

Vielleicht interessiert es euch etwas mehr, als mein altkluges Gefasel:
Mir geht es soweit ganz gut. Klar denke ich immer wieder daran zurück, aber ich glaube ich habe das gröbste überstanden und kann nun langsam wieder zur Normalität zurückkehren. Ich versuche positiv zu denken und mir hilft es sehr, dass ich in den besagten Minuten, einigen anderen geholfen habe, worauf ich, angesichts der brutalen Szenen an der Treppe gegenüber, auch ein wenig stolz bin, denn ohne das soziale Verhalten unter den Leuten am und auf dem Container, wäre es wohl auch dort zu Toten und Verletzen gekommen.

Zwischendurch bin ich natürlich auch immer wieder ziemlich traurig und muss daran denken, wie viele so unnötig, so nah an mir dran, ihr Leben lassen mussten, wie qualvoll sie starben und wie schlimm das für alle sein muss, die sie kannten oder das miterlebten. Diese Gedanken kann man nicht einfach so weg schieben und man sollte seinen Gefühlen dann ruhig freien Lauf lassen (auch als Mann und auch in der Öffentlichkeit) – das wirkt wahre Wunder, denn nach solch einem Gefühlsausbruch geht es einem meist besser.

Ich werde mir die Lebensfreude jedenfalls so schnell nicht nehmen lassen und gleich mit Freunden auf eine Techno&Drum’n’Bass-Party gehen! Wünscht mir Spaß, oder findet es unangebracht ausgerechnet heute feiern zu gehen – ich könnte das nachvollziehen. Für mich ist es jedenfalls das Richtige und es fühlt sich nicht falsch an.

Es tat sehr gut noch mal ein paar Zeilen dazu zu schreiben. Ich hoffe euch nicht zu sehr damit gelangweilt zu haben…

🙂

Es macht mich traurig – Nachtrag zur Loveparade 2010

Ich habe mich dazu hinreißen lassen, nochmal zu den Ereignissen auf der Loveparade Stellung zu nehmen und ein Interview (stark gekürzte Version) zu geben. Ich bitte aber darum von weiteren Anfragen abzusehen, da mich die Ereignisse ziemlich mitnehmen. Besonders die Boulevard-Medien brauchen sich nicht um mich bemühen. Vielleicht sieht das in ein paar Tagen anders aus, wenn ich das Ganze ein wenig besser verdaut habe, aber im Moment habe ich erstmal keinen Bedarf mehr daran die gleiche Geschichte noch x-mal zu erzählen, mich schwierigen Fragen zu stellen, die ich auch nicht sicher beantworten kann und mich jedes Mal auf’s Neue damit zu belasten.

UPDATE 31. Juli:
„Das Leben geht weiter! – Abschließende Gedanken zur Loveparade“

Hier der ungekürzte Text des Interviews, der sich natürlich inhaltlich an vielen Stellen mit meinem Gedächtnisprotokoll überschneidet, aber auch einige zusätzliche Informationen und meine persönlichen Einschätzungen enthält:

Ist es richtig, dass die, die gerade mal eine Stunde nach Beginn der Loveparade in Duisburg ankamen, schon nicht mehr sicher auf das eigentliche Gelände durchkamen?

So genau kann ich das natürlich nicht sagen, aber ich habe Berichte von Leuten gelesen, die schon um 11h in Duisburg am Hauptbahnhof ankamen und die auch in den „Hexenkessel“ kamen, da sie anfangs ein wenig getrödelt haben und später stundenlang vor der ersten Vereinzelungsanlage (Ecke Karl-Lehr-Str/Grabenstr.) standen, so dass sie auch erst gegen 16h in den Tunnel kamen, wo sie dann nochmal eine Stunde im übelsten Gedränge warten mussten, bis sie das Festivalgelände erreichten.

Ich muss die Frage also bejahen. Aber es hing natürlich stark von der jeweiligen Gruppe und ihrem Tempo ab. Wir sind jedenfalls erst gegen 14:30h in Duisburg angekommen und hatten trotzdem „schon“ um 17h den total überfüllten Platz zwischen den Tunneln vor dem Eingang erreicht. Ich schätze es lag daran, dass wir relativ zielstrebig und zugig gegangen sind und die Lücken im Gedränge gut ausgenutzt haben um schneller voran zu kommen (jedoch ohne aggressives Drängeln, wie andere es taten).

Wie hast Du selber die Situation erlebt, war Dir bewusst, welche Gefahr drohte, und wie hast du die Situation in dem Tunnel erlebt?

Mein Erlebnisbericht schildert das eigentlich schon recht ausführlich…

Als wir um etwa 16:30h in den Tunnel gingen war die Situation noch (bzw. wieder) recht entspannt, da es auf einmal viel Platz gab, nachdem wir vorher sehr lange, eng an eng am ersten Kontrollpunkt warten mussten. Die Stimmung war anfangs, am Eingang des Tunnels, noch sehr ausgelassen und man sah (und hörte!) wie sich die Menschen darauf freuten gleich ordentlich Party zu machen. Auch ich dachte, wir wären schon so gut wie drin und stimmte ins fröhliche Pfeifkonzert mit ein.

Erst ab der Mitte des, mit etwa 300m beängstigend langen, Tunnels wurde es voller und die ersten Menschen kamen uns schon wieder entgegen. Einige Fragten die Entgegenkommenden Leute wie die Party sei und warum sie schon gingen, worauf immer die Antwort kam, dass man „da vorne“ nicht durch komme, weil es dort zu voll sei. Wir ließen uns davon aber nicht beirren und ich dachte, dass das einfach nicht sein kann. Sinngemäß meinte einer meiner Begleiter „Hey, das ist die Loveparade! Die wissen doch, wie viele hier kommen.. Wir werden da locker reinkommen.“ und alle stimmten dem zu. Verständlicherweise dachte niemand an eine Umkehr – man ist ja nicht den ganzen Weg gefahren, um dann so kurz vor dem Ziel (zu dem Zeitpunkt noch ohne ersichtlichen Grund) aufzugeben, noch bevor’s richtig los ging.

Also gingen wir weiter. Und dann war es auch bald drauf schon zu spät zum Umdrehen, da von hinten immer mehr Menschen nach kamen. Zum Ende des Tunnels hin, wurde es dann erst so richtig eng und heiß. Kurz vor dem Tunnelausgang sahen wir dann, wie viele Leute einen Container hoch kletterten und wie andere, von Polizisten voran gestoßen, eine Treppe hoch stiegen. Wir fragten uns was los war und warum die die Leute nicht schneller eingelassen wurden. Genau das was ich eben beschrieben habe, hat ein Freund mit seiner Kamera festgehalten. Da war es genau 16:52h, also etwa 20 Minuten bevor sich die dramatischen Szenen ereigneten:

Kurz darauf baute sich ein ungeheurer Druck auf, der von allen Seiten zu kommen schien. Das jagte einem schon Angst ein, da man in der Masse absolut machtlos war sich aus dieser Situation schnell zu befreien. Richtig böse wurde es dann, als die Masse anfing sich in Wogen zu bewegen, wobei der Druck nochmal stärker wurde. Immerhin konnte man mit Mini-Schritten ein klitzeklein wenig seine Bewegungsrichtung steuern, so dass ich mich in Richtung Container schob, da ich das für den einzigen sinnvollen Ausweg hielt. Zu spät bemerkte ich dann, dass der Rest der Gruppe von mir weg getrieben war und sich zum „normalen“ Eingang hin bewegte.

Um es abzukürzen: Ich bin dann irgendwann am Container angelangt, habe dort erstmal einigen Leuten hoch geholfen und mit dafür gesorgt, dass zwei bewusstlos gewordene Mädchen hoch gereicht wurden. Dann bin ich den Container hoch geklettert, habe auch von oben einigen hoch geholfen, Leute festgehalten, die andere hoch zogen und habe einigen, die mit mir dort oben standen die letzten Hürde erleichtert, indem ich sie hoch drückte, eine Bewusstlose mit hoch hiefte oder per Räuberleiter Hilfestellung gab, bis ich mich dann selbst irgendwann an einem Kabel die Wand hoch zog und oben von einem Polizisten in Empfang genommen wurde.

Das war schon alles sehr beängstigend. Besonders unten, im „Hexenkessel“ zwischen den Tunneln und dem eigentlichen Eingang zum Gelände, war es echt bedrohlich eng und die Stimmung war sehr angespannt. Ich konnte mich aber zwingen ruhig zu bleiben, um klar denken zu können und nicht in die Hysterie zu verfallen, denen einige der Leute um mich herum schon erlegen waren.

Wie ist es Deiner Meinung nach zu den Toten gekommen; hast Du irgendetwas davon gesehen, dass Besucher eigenverantwortlich geklettert und dann abgestürzt sind?

Mit eigenen Augen habe ich niemanden Abstürzen sehen und musste glücklicherweise auch nicht miterleben, wie jemand zu Tode kam. Ich war zum Ende hin irgendwie nur noch auf meine nähere Umgebung und den Container fixiert, so dass ich mich kaum umgeschaut habe. Das hat auch schon gereicht, denn ich war irgendwann umgeben, von keuchenden, weinenden, bewusstlosen und kurz vor dem Kollaps stehenden Personen, die meine Aufmerksamkeit komplett in Anspruch nahmen. Ich habe erst von Toten erfahren, als ich schon im Loveparade-Gelände, auf der Suche nach meiner Truppe, war.

Ich bin mir inzwischen sicher, dass die meisten Menschen an der Treppe um’s Leben kamen, nachdem sie geöffnet wurde und viele dorthin strömten. Dort waren ja auch die meisten Todesopfer zu beklagen. Die Öffnung dieser Treppe war meiner Meinung nach einer der großen Fehler, die seitens der Organisation bzw. der Polizei begangen wurden, denn dort sah die Masse, dass es weiter geht und viele wollten dort hin.

Die Videos auf YouTube zeigen, dass sich vor dieser Treppe die dramatischsten Szenen abspielten, man sieht unter anderem auch, wie sich einige rücksichtslose und/oder von Panik getriebene Personen über die anderen erhoben und ohne Rücksicht auf Verluste teilweise auf den Köpfen und Schultern der unten stehenden gingen, um sich zur rettenden Treppe durch zu kämpfen. Vor der Treppe hatte sich nämlich sich eine große Traube gebildet, in der die Leute oftmals übereinander lagen, wie man in dieser Fotodokumentation gut sehen kann. (Von den teilweise total überzogenen Kommentaren des Uploaders, möchte ich mich jedoch ausdrücklich distanzieren.)

Ich hoffe, dass es aufgrund der schrecklichen Bilder nicht schon wieder gelöscht wurde. Man kann erkennen, das viele der vor der Treppe eingezwängten Menschen, nach hinten umgefallen sind, da der vom Treppen-Tumult, ausgehende und deshalb auch von oben kommende Druck wohl zu groß gewesen sein muss. Die Menschen sind also einfach nach hinten umgekippt und waren danach, so unglaublich es klingt, in mehreren Lagen gestapelt. Wer da unten lag musste schon sehr viel Glück gehabt haben, um das heil zu überstehen (so wie Julia). Selbst als sich die Menschenmassen um die Treppe herum etwas gelichtet hatten, dauerte es wohl noch etliche Minuten, bis die verkeilte Menschentraube gelöst werden konnte, was dann erst das wahre Ausmaß der Tragödie offenbarte, also unzählige Bewusstlose bzw. Tote (was auf den Fotos & Videos schwer zu unterscheiden ist).

Dieses Video hat mich richtig geschockt. Erst nachdem ich das gesehen hatte, konnte ich wirklich realisieren, was da überhaupt in Wahrheit passiert war. Es ist eine riesen Unverschämtheit so zu tun, als wäre die „dumme Masse“ selbst schuld an diesem Drama. Meiner Meinung nach hätte die Treppe niemals freigegeben werden dürfen und man hätte den Haupteingang komplett öffnen müssen.

Es hätte nicht nur einen Weg auf’s Gelände geben dürfen, sondern es wären mehrere gut voneinander getrennte Ein- und Ausgänge nötig gewesen. Ein Nadelöhr, wie einen 300 Meter langen Tunnel, zugleich als Ein- & Ausgang zu nutzen, finde ich ziemlich fahrlässig. Im Tunnel und im Hexenkessel hätten viel mehr Polizisten und Ordner den Strom in die Richtigen Bahnen lenken müssen und die wenigen vor befindlichen Einsatzkräfte hätten sofort dafür sorgen müssen, dass sich die Situation vor der Treppe wieder entspannt.

Stattdessen hat man offenbar lieber den Eingang versperrt, Zäune bewacht und so für noch mehr Gedränge und Panik gesorgt. Es gab am Ende des Tunnels kein Hinweisschild, damit man weiß, dass man nicht mehr geradeaus gehen muss – das war nämlich gar nicht so klar, wie man vielleicht denken könnte, so dass die sich entgegenkommenden Ströme trafen. Wenn man schon so dumm ist zwei entgegengesetzte Menschenströme aufeinander prallen zu lassen, muss man schon einen klaren Ausweg weisen. Das war nicht der Fall, so dass es sich am Tunnelausgang extrem staute, was meiner Einschätzung nach im Endeffekt zu dieser enormen Überfüllung und im Endeffekt zu den panischen Reaktionen der Eingeklemmten führte.

Wenn alle gewusst hätten wohin sie sich wenden müssen und es zügiger vorwärts gegangen wäre, hätten die Menschen wohl erst gar nicht verzweifelt nach irgendwelchen Auswegen gesucht – ich wohl auch nicht. Beruhigende oder wegweisende Lautsprecherdurchsagen hätten bestimmt ebenfalls Wunder wirken können, denke ich.

Das war alles so vermeidbar! Für mich tragen sowohl die fahrlässige Stadt Duisburg, der profitgierige Veranstalter, als auch die unfähige Polizei gleichermaßen die Schuld an dem was da passiert ist.

In mir kocht die Wut! Es macht mich sehr traurig, dass es soweit kommen musste. Ich fühle mit den Angehörigen der Todesopfer. Immer wieder frage ich mich, was passiert wäre, wenn wir ein wenig näher an der Treppe gestanden hätten. Ich bin froh, dass ich dieses Horrorszenario nicht live miterleben musste oder da rein geraten bin, sondern erst nachher davon erfuhr. Da ich nicht die Treppe, sondern den Container gewählt hatte und rechtzeitig in Sicherheit war, blieb mir das schrecklichste glücklicherweise erspart. Ich kann dieses Glück kaum fassen und es belastet mich, dass wir so nah da dran waren wo Menschen starben, die genau wie wir einfach nur zu guter Musik feiern wollten und zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Es wird behauptet, der Polizei sei die Situation „egal“ gewesen, und sie hätten nicht bzw. nicht richtig reagiert – was war Dein Eindruck von Polizei und Rettungskräften?

„Egal“ halte ich für eine etwas übertriebene Formulierung. Ich hatte den Eindruck die viel zu wenigen Polizisten hatten selbst Angst vor der riesigen, unkontrollierbaren Menschenmenge im Hexenkessel und waren schlicht überfordert. Ich persönlich habe eine positive Erfahrung gemacht, da mir Polizisten geholfen haben den Container zu erklimmen und auf das Festivalgelände zu kommen. Ich weiß aber, dass nicht alle Polizisten spontan so tatkräftig mit geholfen haben, wie das bei mir der Fall war.

Es waren einfach zu wenige Polizisten vor Ort und die wenigen, die da waren haben sich wohl auf die falschen Dinge konzentriert, statt dort zu helfen wo es wirklich um Menschenleben ging. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Polizei ein großes Kommunikationsproblem hatte, denn anders bleibt für mich die unterlassene Hilfeleistung am Fuße der Treppe unerklärlich. Ein Funkspruch und rechtzeitiges, entschlossenes Handeln einiger Hundertschaften, hätte diese ganze Massenpanik verhindern können, glaube ich.

Hattest Du, nachdem Du dem Tunnel sicher nach oben entkommen warst, schon den Eindruck, dass es Tote geben könnte?

Nein, das ist mir wirklich nicht in den Sinn gekommen. Bei mir war die Enge zwar sehr bedrohlich, aber so weit habe ich in dem Moment noch nicht gedacht. Ich glaube ich stand selbst erstmal eine Zeit lang unter Schock. Ich war einfach nur froh das überstanden zu haben und endlich zum ersten (und letzten) Mal auf der Loveparade zu sein.

Loveparade 2010 – Mein Gedächtnisprotokoll

Als allererstes möchte ich den Familien und Freunden der Opfer des 24. Juli mein aufrichtiges Beileid aussprechen!

Da will man einfach nur einen Tag lang ausgelassen feiern und dann passiert sowas… Unglaublich.

UPDATE 27. Juli: „Es macht mich traurig – Nachtrag zur Loveparade 2010“
UPDATE 31. Juli: „Das Leben geht weiter! – Abschließende Gedanken zur Loveparade“

Wir waren eine etwa achtköpfige Gruppe und sind um ca. 15h in Duisburg angekommen. Am Hauptbahnhof lief alles noch verhältnismäßig geordnet ab. Dort war es noch nicht allzu überfüllt und man wurde direkt auf den richtigen Weg zum Gelände geleitet. Alles lief ruhig ab und es gab kein Gedränge. Die Polizei hat per Lautsprecherdurchsagen dafür gesorgt, dass der Platz hinterm Bahnhof von den Ankommenden zügig geräumt wurde, damit ausreichend Platz für Nachrückende vorhanden war.

Weiter ging es Richtung Süden, über die Neudorfer Straße, vorbei an der Sparkasse (Koloniestr. 90), halbrechts auf die Grabenstraße. Ab hier wurde es zunehmend voller, es ging nur noch schleppend voran und die Menschen fingen sich an zu stauen. (siehe Karte) Besonders zum Ende der Grabenstraße wurde es dann richtig voll, da es am Eingang zur Karl-Lehr-Straße den ersten Kontrollpunkt gab, der den Durchfluss regulieren sollte und es ging zeitweise gar nicht mehr vorwärts. Die ersten fingen schon dort an zu drängeln. Nach etwa einer Stunde Warterei, kamen wir durch und konnten es nun kaum noch erwarten endlich auf dem Loveparade-Gelände anzukommen. Ich hatte das Gefühl, wir hätten es bereits so gut wie geschafft und das gröbste wäre überstanden, da wir auf einmal viel Platz hatten und ohne Gedränge Richtung Loveparade gehen konnten.

Als wir den Tunnel durchschritten war die Stimmung ausgelassen, die Menschen sangen, pfiffen und johlten freudig, während sie unbedrängt durch den Tunnel gingen. Zu dem Zeitpunkt (ich schätze es war etwa 16:30h) gab es noch genug Luft und ausreichend Raum für alle im Tunnel. Die Masse bewegte sich geordnet vorwärts.

Erst am Ende des Tunnels (der direkt am Eingang zum Gelände lag) stockte der Menschenfluss wieder, es wurde schnell unangenehm eng, heiß, und von hinten baute sich immer mehr Druck auf.

Das folgende Video wurde von einem Freund um 16:52h aufgenommen.
Er stand direkt hinter mir, so dass es exakt meine Eindrücke wiedergibt:

Nach einiger Zeit liefen die ersten Druckwellen durch die Menschenmasse – man wurde wie in einer Meereswelle von vorne nach hinten, nach links & rechts getragen, ohne etwas machen zu können. Es schien, als würden die Leute nicht schnell genug eingelassen, während von hinten zu viele Menschen in den Tunnel gelassen wurden (bzw. sich selbst ihren Weg dorthin gebahnt haben, wie ich erfahren habe).

Ich sah, wie die Polizei dabei half Menschen eine Treppe hoch zu bugsieren, damit sie nicht seitlich hinunter fielen. Auf der anderen Seite stand ein Container (oder ähnliches), der anfangs noch von einem Zaun umgeben war. Dort kletterten viele hoch, um dem immer unerträglicher werdenden Druck zu entkommen. Von dort aus musste man nochmal klettern, um auf’s Loveparade-Gelände zu gelangen, was in diesem kurzen Video gut zu sehen ist.

Zwischenzeitlich hatte sich unsere Gruppe aufgespalten, da man ständig hin & her geschoben wurde und es fast unmöglich war zusammen zu bleiben. Ich entschloss mich ebenfalls diesen Weg zu nehmen, um aus dem Getümmel heraus zu kommen und wollte, dass der Rest der Gruppe mitkommt. Die anderen riefen mir zu, sie würden den normalen Eingang nehmen (der direkt gegenüber dieses Containers lag), aber da waren wir schon zu weit von einander entfernt, als dass ich ihnen noch hinterher kommen konnte. Die Situation wurde immer beängstigender und so schob ich mich langsam in Richtung Container.

Es war schön zu sehen, wie sich die Leute spontan gegenseitig geholfen haben, um dort hoch zu kommen. Jeder, der es auf die (halbwegs) sichere Plattform geschafft hatte, half wiederum einigen Leuten hoch und von unten half man sich ebenfalls gegenseitig beim Aufstieg, so dass sich eine Art Hilfe-Kette bildete. Dicke Kabel wurden von oben herunter geworfen, an denen man sich festhalten konnte, um besser hoch zu kommen und auch die wenigen Polizisten, die dort vor Ort waren halfen mit.

Das Gedränge wurde immer schlimmer und kurz vor dem Container war der Druck am stärksten. In meiner Nähe wurden zwei Mädchen bewusstlos und wir schrien nach oben, damit sie bevorzugt hoch geholt werden. Da das nicht half, schlug ich vor sie einfach „stagedivingmäßig“ durch zu reichen, was dann auch geschah. Einige Leute (besonders die jungen Mädels) wurden hysterisch, haben hyperventiliert und geheult.

Endlich am Container angekommen, half ich zunächst einigen anderen per Räuberleiter nach oben, bevor ich mich selbst hochziehen ließ. Auch von oben habe ich dann (so wie die meisten anderen auch) erstmal ein Paar Leuten hoch geholfen, bevor ich weiter kletterte. Es war echt bewegend mitzuerleben, wie sozial sich Menschen auch in Ausnahmesituationen verhalten können. Jeder half ein wenig mit, so wie einem auch selbst geholfen wurde.

Oben war es total überfüllt, doch niemand fiel herunter, da von hinten immer ein paar Leute diejenigen gehalten haben, die gerade neue Leute hochzogen, was ich dann auch gemacht habe, nachdem ich einigen geholfen hatte den Container zu erklimmen. Wollte man weiter, ging es dann ein noch höheres Stück hinauf und auch hier half man sich gegenseitig, wie eben beschrieben.

Die Leute, die schon oben waren hatten offenbar dicke Kabel besorgt, an denen man sich festhalten konnte, es gab sogar eine Leiter und von oben halfen einem sowohl Polizisten, als auch normale Loveparade-Besucher sicher hoch zu kommen. Wieder half ich erst einigen Menschen, damit sie besser und vor allem schneller die letzte Hürde nehmen konnten – logischerweise auch, damit ich selbst genügend Platz hatte um hochzuklettern.

Irgendwann ergriff ich dann eines der Kabel, schlang es um mein Handgelenk und zog mich daran die Wand hoch. Man musste nämlich erstmal noch etwa 2 Meter überwinden, bevor man sich irgendwo sicher festhalten konnte. Von unten wurde ich hoch gedrückt, während mir von oben die Hand gereicht wurde.

Als ich die kräftige Pranke eines Polizisten ergriff, der mich sogleich über das Geländer zog, war ich wirklich heilfroh. Ich dankte ihm herzlich, er klopfte mir auf die Schulter und schon zog er den nächsten Hilfesuchenden auf’s sichere Festivalgelände.

Schweißgebadet zog ich erstmal mein T-Shirt aus und setzte mich hin. Ich hatte noch gar nicht realisiert, was da gerade passiert war…

Erst später erfuhr ich dann, dass kurz nachdem ich oben angekommen war mehre Menschen zu Tode gekommen waren, was mir die Partystimmung verständlicherweise ziemlich vermieste. Den Rest der Loveparade brachte ich eigentlich nur noch damit zu nach meiner Gruppe Ausschau zu halten, SMS zu lesen und zu versenden, die aber meist mit etwa halbstündiger Verspätung ankamen, was ein Treffen schier unmöglich machte. Immerhin wussten wir so voneinander, dass es allen gut geht.

Nach einiger Zeit bekam ich dann Unmengen besorgter Nachrichten und etliche Leute hatten versucht mich anzurufen, was jedoch aufgrund der Netzüberlastung, ebenso wie eine zeitnahe Antwort darauf, nicht möglich war.

Gegen 21h bin ich dann entnervt gegangen, nachdem ich erfahren hatte, dass die andern auch schon auf dem Weg nach Hause waren. Immer wieder kamen SMS-Salven an, die zuvor nicht zugestellt wurden und ich konnte die ersten Anrufer damit beruhigen, dass mir nichts zugestoßen ist.

Der letzte Teil dieses denkwürdigen Tages war die Rückfahrt, die nochmal etwa fünf Stunden (statt normalerweise 1,5 Std) in Anspruch nahm, da die Bahn mit den Massen der Rückreisenden nicht fertig wurde und die Strecke von Duisburg nach Düsseldorf stundenlang, aufgrund von Menschen auf den Gleisen gesperrt war. In der Zeit führte ich etliche Telefonate, die alle in etwa gleich abliefen, was mich einerseits zwar akut nervte, aber eigentlich sehr freut, da es zeigt wie viele Menschen an mich gedacht und sich Sorgen gemacht haben.

In Bonn angekommen ging ich erstmal ein Bier trinken, um das ganze zu verdauen und traf direkt einen meiner besten Freunde und seine Freundin, vor meinem Lieblingslokal. Der nächste Hammer kam dann, als ich bei Twitter rein schaute und sah, dass ich bei sonderlage.de auf einer Vermisstenliste stand (inzwischen ist sie offline) und bemerkte, wie viele meiner (wie ich dachte) „virtuellen“ Bekanntschaften, sich um mich „reale“ Sorgen gemacht hatten. Das war wirklich überwältigend! (Dazu möchte ich euch noch den Bericht „Twitter – mehr als nur eine Kommunikationsplattform“ an’s Herz legen)

Ich möchte euch allen herzlich dafür Danken, dass ihr an mich gedacht habt!
Egal ob ihr mich wirklich kennt oder nur aus dem Internet.

Ich werde euch erhalten bleiben,
euer Edward

UPDATE 26.7.
Ich bin etwas erschlagen von dieser plötzlichen Aufmerksamkeit und (wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt) ein wenig überfordert damit, all die Reaktionen (Hier, Twitter, Facebook, Studi, SMS, Mails, etc) zu beantworten.
Bitte seid mir nicht böse, wenn ich nicht auf alles antworte – ich lese aber alles und freue mich!

Weitere Augenzeugenberichte: