Das Zensur-Gespenst geht wieder um.. Diesmal kommt der Vorstoß nicht aus Deutschland, sondern von der EU und zwar ausgerechnet von einer (sogenannten) „liberalen“ Politikerin aus Schweden, dem Ursprungsland der Piratenpartei.
Cecilia Malmström – inzwischen besser bekannt als #Censilia – schockierte die Freunde des unzensierten Internets mit ihrem Gastbeitrag in der FAZ, in dem sie forderte „die dunklen Ecken des Internets“ aufzuräumen.
In dem Artikel werden mal wieder die Emotionen der Leser angesprochen und es wird (so wie das bei Sperrbefürwortern üblich ist) suggeriert, das Internet wäre voller Kinderpornographie. Daraufhin versucht man den Leser davon zu überzeugen, die Zensur derartiger Inhalte wäre die einzige machbare Lösung. Zwar wird am Ende kurz angesprochen, dass „Löschen vor Sperren“ das bessere Mittel ist und nach wie vor das höchste Ziel sein sollte, doch man relativiert das ganze, indem angemerkt wird, dass „die Anbieter sich in den meisten Fällen physisch außerhalb der EU befinden“, was wohl heißen soll, dass es viel einfacher ist die Inhalte nur zu sperren, statt sich mit den im jeweiligen Land zuständigen Behörden in Verbindung zu setzen, dafür zu sorgen, dass die Inhalte endgültig gelöscht werden und sich auf die Suche nach den Hintermännern zu machen, um ihnen ihre gerechte Strafe zukommen zu lassen. Keinem einzigen missbrauchten Kind wird geholfen, wenn nicht konsequent nach den Tätern gefahndet wird!
Nicht auszudenken was los wäre, wenn ein Polizist, der zu einer Vergewaltigung gerufen wird, nur mit einem roten Tuch bewaffnet zum Tatort kommt, um der Öffentlichkeit den Anblick zu ersparen und den Täter dann laufen zu lassen…
Im realen Leben ist das undenkbar – im Internet möchte man uns diese Vorgehensweise jedoch als „Verbrechensbekämpfung“ verkaufen.
Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kommt auch noch eine gehörige Portion Bösartigkeit hinzu, denn Frau Malmström behauptet allen Ernstes:
Beim Thema Reglementierung des Internets werfen Bürgerinitiativen zu Recht die Frage nach der freien Meinungsäußerung auf. Bilder von Kindesmissbrauch können jedoch unter keinen Umständen als legitime Meinungsäußerung gelten.
Censilia versucht nun also mit den gleichen Methoden, wie damals Frau von der Leyen beim Zugangserschwerungsgesetz, die Kritiker von Netzsperren zu diffamieren und sie als Befürworter von Kindesmissbrauch darzustellen.
Doch mit so einer dämlichen Argumentation hätte sich das wohl noch nicht einmal Zensursula getraut.
Ein Sturm der Entrüstung brach los und sogar die etablierten Medien argumentierten an vielen Stellen im Sinne der Zensurgegner. Nach der ausführlichen Debatte von letztem Jahr, zu genau diesem Thema, war man ja schon kampferprobt, hatte schnell die passenden Gegenargumente parat und bald waren sich alle einig, dass Malmström’s Vorschlag grober Unfug ist.
Alle?
Naja, nicht ganz…
Der wahre Qualitätsjournalismus zeichnet sich nämlich heutzutage dadurch aus, dass man ohne mit der Wimper zu zucken über hieb- und stichfeste Argumente hinweg sieht und dem Volk stattdessen einfach die gleichen alten Lügen vorsetzt.
Von der Springer-Presse ist man ja schon gewohnt, dass sie bei Netzsperren eifrig Beifall klatscht, doch vom ZDF kannte man eigentlich eine etwas neutralere Berichterstattung, als das was dann kam:
Patricia Wiedemeyer, Reporterin im Auslandsstudio Brüssel, veröffentlichte im ZDF-Blog „Deutschland Digital“ einen unglaublichen Artikel, den man zunächst fälschlicherweise für einen vorgezogenen Aprilscherz halten könnte…
Alleine der Titel „Höchste Zeit für Netzsperren gegen Kinderpornos„ lässt dem informierten Netzbürger die Haare zu Berge stehen, macht sprachlos, wütend und traurig, vor allem wenn man weiß wie langwierig es war, unseren Politikern diesen Unsinn auszutreiben. Schon der erste Satz darin müsste eigentlich zur kompletten Disqualifikation von allen journalistischen Tätigkeiten führen:
Nach bereits zwei Klicks kann man im Internet Kinderpornos anschauen.
Aha. Zwei Klicks?
Die benötige ich meistens schon alleine, um meinen Browser zu öffnen.
Ich habe aber kein Interesse daran nachzuprüfen, nach wie vielen Klicks man wirklich zu kinderpornographischen Seiten gelangt, doch selbst wenn es 100 wären, würde es die Sache nicht besser machen. Ich bin in meinem ganzen Online-Leben noch nie (nie!) über Kinderpornografie gestolpert. Gut, ich habe auch nicht danach gesucht, aber wenn das ganze Netz voll damit ist, müsste man das Zeug doch irgendwo mal gesehen haben. Der Artikel beginnt also bereits mit puren Populismus! In die Köpfe des Lesers soll nur wieder einmal das Bild des bösen, unkontrollierten, „rechtsfreien Raums“ Internet gehämmert werden, in dem man an allen Ecken auf kriminelle Inhalte stößt.
Genauso hirnlos geht es dann auch weiter und der Text liefert keine einzige Zeile, die es nicht zu kritisieren gäbe. Was das für ein Schuss in den Ofen war, zeigt sich besonders schön an der Flut von Kommentaren, die den Artikel mit sachlichen und guten Gegenargumenten, die den meisten schon seit der Zensursula-Debatte bekannt sein sollten, zerpflücken.
Hätte Frau Wiedemeyer das alles nur in einem Blogeintrag im Internet kundgetan, wäre die Sache ja halb so wild, denn jeder darf sich mal irren oder über’s Ziel hinausschießen. Aber die Dame ist nun mal Auslandsreporterin des ZDF-Studios in Brüssel und hat dazu gleich noch einen ebenso schauerlichen Nachrichten-Beitrag produziert, der offenbar kritiklos Eingang in alle ZDF-Nachrichtensendungen fand, was wirklich ein Armutszeugnis ist:
Nachdem Brender von der Koch-Mafia abserviert wurde, wird immer deutlicher, in wessen Namen das CDF ..äh.. ZDU ..ehm.. ZDF Meinungsmache betreibt!
Vielleicht haben Frau Malmström und Frau Wiedemeyer das „Rette deine Freiheit“-Video einfach nur komplett in den falschen Hals bekommen:
In Schweden hat man jedenfalls sehr schnell reagiert und die Censilia-Story bereits verfilmt – sehenswert! 😉
Last, but not least
Telecomix Message to Commissioner Cecilia Malmström:
„Back off from the Internet Censilia!“
Da der Text teilweise schwer verständlich ist, hier zum mitlesen:
It has come to our knowledge that European commissioner for home affairs, Cecilia Malmström will propose a filtering system of Internet web sites for all of the union member states.
This system has been deployed in many places already; in China they call it “The Golden Shield”, in Australia it filters out women with small breasts, and in Iran it prevents civil rights groups to use the Internet. Even though it can be circumvented easily, it still cuts off large parts of the populations from accessing information.
Once deployed, in the name of fighting paedophilia online, this block filter will rapidly extend to also block political, religious or other sensitive information.
Europe will no longer be an open society if there is state censorship. No matter how horrible the content of certain websites is, censorship is a method for despotic regimes, not for democracies. Censorship is an easy way out if you don’t want to deal with the real problem and lowers the incentive for authorities to get to the cause of child pornography. You will not find the solution by censoring our communication networks; censorship just treats the symptoms. People that really want to communicate with each other will always find methods to circumvent the control systems. The censorship that you propose will primarily affect internauts using plaintext communication networks.
We command Cecila Malmström to rethink her position. It is not acceptable that our communication networks should be controlled, filtered and censored. We are closely monitoring not only this matter, but also the ongoing renegotiations of the data retention directive, for which Malmström is responsible. Europe must turn around and stop sleepwalking into a surveillance society and state censorship!
Every day Chinese internauts risk their well-being by breaching through the digital wall of oppression. Europe will loose its credibility needed to condemn such violations when we are about to do the same thing.
Now is the time to back off.
Weiterführende Links:
- Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie (pdf)
- Pressemitteilung der Piratenpartei Deutschland: „Zugangserschwerungsgesetz reloaded“
- Pressemitteilung der Piratenpartei Hessen: „Internet-Stoppschilder jetzt per EU-Beschluss?“
- Pressemitteilung des AK-Zensur: „Internet-Sperren sind Unfug im Kampf gegen Kindesmissbrauch“
- MOGiS: „Kinderpornographiedefinition der EU“
- Netzpolitik: „Die Cencilia – Schäublone“
- Netzpolitik: „Censilia-Richtlinien-Entwurf in deutsch“
- Spiegelfechter: „Niemand hat die Absicht, Internetsperren zu errichten“
- Scusiblog: „Censilia – Zensursula reloaded by EU“
- Mr.Topf: „10 reasons why access blocking does not help“
- Guardian: „Pointless action on child pornography“
- Heise: „EU will Websperren einführen“
- Heise: „Websperren: Viel Skepsis gegenüber neuer EU-Initiative“
- Spiegel: „Parlamentarier rüsten gegen Brüsseler Netzsperren-Plan“
- Süddeutsche: EU-Kommission befürwortet Netzsperren – „Europas Zensursula-Idee“
- Süddeutsche: Deutschland will „löschen statt sperren“
- Zeit: „Erneute Netzsperren-Diskussion aus Brüssel“
- Zeit: Kinderporno-Seiten – „Deutschland setzt auf Löschen“
- taz: „Aus Zensursula wird Censilia“
- taz: Brüssel will europaweite Netzsperren – „Wir opfern die Grundrechte“
- taz: Portrait Cecilia Malmström – „Kommissarin im Wespennest“
- Stern: „Schwarz-Gelb muss Brüssel Paroli bieten“
Die wunderbare Hymne „Zensi-Zensa-Zensursula“, die mich zu diesem Beitrag inspiriert hat, darf hier natürlich auch nicht fehlen! Für alle die diesen Ohrwurm noch nicht kennen oder das Lied einfach nochmal hören wollen:
🙂